23. Beitrag ==► Auswirkung der pathogene Mutation in Spastin

Wieder einmal gibt es eine absolut neue Erkenntnis in der HSP-Forschung. Forscher aus der Gruppe des Amerikaners Prof. Peter W. Baas (Bild links) haben sich mit der Funktion des Proteins Spastin befasst und haben Neues herausgefunden. Mit den neu gewonnenen Erkenntnissen könnte es möglich werden, der HSP-Forschung im Hinblick auf neue Therapieansätze eine ganz neue Richtung zu geben.

Prof. Baas und seine Mitarbeiter kommen zu dem Ergebnis, dass eine Isoform des Spastins nicht über die Haploinsuffizienz wirkt, sondern dass hier eine „Gain-of-funktion-Mutation“ zugrunde liegt. Jetzt bitte keine Angst bekommen. Die Fachbegriffe werden zunächst kurz erklärt:

  1. Isofom des Spastins

    Es wird unten von zwei unterschiedlichen Formen des Spastins, nämlich von M1 und M87 gesprochen. Es ist vielen HSP’lern noch wenig bekannt, dass das Gen, das für den Bau des Proteins Spastin verantwortlich ist, mehrere Formen dieses Eiweißes baut. (Man nennt solche Formen „Isoformen“). Es gibt eine lange und eine kurze Form. Beide Formen sind in unserem Körper aktiv, beim Gesunden genauso wie beim HSP’ler. Während bei der langen Form das Ablesen des Gencodes an der Position 1 beginnt, startet die kurze Form bei der Position 87. Deshalb die Bezeichnung M1 und M87. Das führt dazu, dass das lange Spastin aus 616 Bausteinen und das kurze aus 530 Teilen besteht. Neben diesen beiden Isoformen gibt es zwei weitere Proteine, die aus dem Gen Spastin entwickelt werden. Bei diesen beiden Formen wird die Information aus dem Exon 4 nicht ins Protein eingebaut. Um es einfach darzustellen, kann gesagt werden, dass die folgenden vier Formen des Proteins Spastin im Spast-Gen beschrieben sind:

    1. Die lange Form von der ersten Aminosäure bis zur 616sten (der letzten) Aminosäure
    2. die verkürzte Form von der 87sten Aminosäure bis zur 616sten Aminosäure
    3. die erste Form ohne die Aminosäuren 197 bis 228 (das ist die Menge aus Exon 4)
    4. die zweite Form ohne die Aminosäuren 197 bis 228 (das ist die Menge aus Exon 4)

    Es ist interessant zu sehen, dass zahlreiche Gene den Bauplan für mehrere Proteine enthalten. Das erklärt auch, warum der Mensch mit seinen „nur“ 25.000 Genen sich zu dem heutigen „homo sapiens“ entwickeln konnte. Am Rande sei bemerkt, dass ein Wasserfloh etwa 31.000 Gene in jeder seiner Zellen besitzt.

  2. Gain-of-funktion-Mutation

    Eine „Gain-of-function-Mutation“ verändert das Genprodukt so, dass es eine neue, abnormale Funktion erhält. Meist sind diese Mutationen dominant. Im Gegensatz zur sogenannten „loss-of-function“-Mutation kommt es hier zu einer Verstärkung der Funktion. Das Gen gewinnt an Aktivität. Dieser Effekt kann unterschiedliche Ursachen haben. So kann ein Gen durch häufigeres Ablesen (Transkription) z.B. durch aktivere Promotoren oder durch Verstärker-Elemente (Enhancer) aber auch durch eine stabilere RNA oder ein stabileres, funktionsfähiges Protein hervorgerufen werden.

  3. Haploinsuffizienz

    Mit diesem Begriff kam Rudi Kleinsorge (Autor dieses Beitrags) erstmals in 2007 / 2008 im Zusammenhang mit einem angedachten HSP-Forschungsprojekt zur so genannten „Zinkfingertechnologie“ in Berührung. Diese Technologie geht davon aus, dass eines der beiden SPG4-Gene, das von von den Eltern vererbt wird, in seiner Funktion komplett ausgeschaltet wird. Natürlich wäre das mutierte Gen ausgeschaltet worden. Erreicht werden sollte, dass das gesunde Gen allein für die Versorgung der Zelle mit dem Protein Spastin zuständig ist.
    Damals wurde erklärt, dass das nicht gehe, weil die Menge des erforderlichen Proteins Spastin nicht durch ein Gen allein hergestellt werden könne. Beide Gene seien zwingend erforderlich. Der Fachbegriff für die erforderliche Aktivität beider Gene, der ist Haploinsuffizienz.

  4. Pathogene Mutation

    In der Überschrift wird von einer „pathogenen Mutation“ gesprochen. Damit ist eine Mutation gemeint, die eindeutig krankheitsauslösend ist.

  5. Mutation C448Y

    Im Text unten wird die Mutation C448Y angesprochen. Diese Angabe zur Mutation besagt, dass an der Position 448 des Gens Spastin die Aminosäure C (=Cystein) durch die Aminosäure Y (=Tyrosin) ausgetauscht wurde. Es handelt sich hier also um eine Missensemutation.

Die unten eingestellte Arbeit besagt, dass die lange Isoform des Spastins (M1) im Mutationsfall zu größeren Störungen führte als die kurze Form (M2). Es sei hier darauf verwiesen, dass im HSP-Forschungsprojekt, dass von der Thyssen-Stiftung gefördert wird ausschließlich diese lange Isoform des Spastins untersucht wird.

Zunächst die Originalfassung der Arbeit und dann die automatische und korrigierte Fassung in deutsch.

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Pathogenic Mutation of Spastin Has Gain-of-Function Effects on Microtubule Dynamics

Joanna M. Solowska, Mitchell D’Rozario, Daphney C. Jean, Michael W. Davidson, Daniel R. Marenda, and Peter W. Baas

The Journal of Neuroscience, 29 January 2014

Abstract
Mutations to the SPG4 gene encoding the microtubule-severing protein spastin are the most common cause of hereditary spastic paraplegia. Haploinsufficiency, the prevalent model for the disease, cannot readily explain many of its key aspects, such as its adult onset or its specificity for the corticospinal tracts. Treatment strategies based solely on haploinsufficiency are therefore likely to fail. Toward developing effective therapies, here we investigated potential gain-of-function effects of mutant spastins. The full-length human spastin isoform called M1 or a slightly shorter isoform called M87, both carrying the same pathogenic mutation C448Y, were expressed in three model systems: primary rat cortical neurons, fibroblasts, and transgenic Drosophila. Although both isoforms had ill effects on motor function in transgenic flies and decreased neurite outgrowth from primary cortical neurons, mutant M1 was notably more toxic than mutant M87. The observed phenotypes did not result from dominant-negative effects of mutated spastins. Studies in cultured cells revealed that microtubules can be heavily decorated by mutant M1 but not mutant M87. Microtubule-bound mutant M1 decreased microtubule dynamics, whereas unbound M1 or M87 mutant spastins increased microtubule dynamics. The alterations in microtubule dynamics observed in the presence of mutated spastins are not consistent with haploinsufficiency and are better explained by a gain-of-function mechanism. Our results fortify a model wherein toxicity of mutant spastin proteins, especially mutant M1, contributes to axonal degeneration in the corticospinal tracts. Furthermore, our results provide details on the mechanism of the toxicity that may chart a course toward more effective treatment regimens.

Quelle: http://www.jneurosci.org/content/34/5/1856.abstract

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Pathogene Mutation in Spastin hat Gain-of-Function-Auswirkungen auf die Dynamik der Mikrotubuli

Joanna M. Solowska, Mitchell D’Rozario, Daphney C. Jean, Michael W. Davidson, Daniel R. Marenda, and Peter W. Baas

The Journal of Neuroscience, 29. Januar 2014

Mutationen am SPG4 Gen, das das Mikrotubuli trennende Protein Spastin kodiert, sind die häufigste Ursache der hereditären spastischen Paraplegie. Haploinsuffizienz, das geläufigste Modell für die Krankheit, kann nicht ohne weiteres viele der Schlüsselaspekte erklären, wie z.B. das Auftreten im Erwachsenenalter oder seine Ausprägung auf die Pyramidenbahnen. Behandlungsstrategien, die ausschließlich auf der Haploinsuffizienz basieren, werden daher wahrscheinlich scheitern. Zur Entwicklung wirksamer Therapien untersuchten wir mögliche gain-of-function-Effekte des mutierten Spastins. In drei Modellsystemen, nämlich in Nervenzellen aus der Wibelsäule von Ratten, in Hautzellen und in genetisch veränderten Zellen der Fruchtfliege, wurde die Spastin Isoform M1 oder die etwas kürzere Form M87, beide mit der gleichen Mutation C448Y aktiviert, um daraus das Protein zu bilden. Obwohl beide Isoformen negative Auswirkungen auf die motorische Funktion in den transgenen Fliegen hatten und das Neuritenwachstum der primären kortikalen Neuronen verringerten, war die Mutante M1 erkennbar schädlicher als die Mutante M87. Die beobachteten Phänotypen waren nicht das Ergebnis der dominant-negativen Auswirkungen des mutierten Spastins. Studien in kultivierten Zellen zeigten, dass die Mikrotubuli stark von Mutante M1 aber nicht Mutante M87 beeinflusst werden können. Die Mikrotubuli-gebundene Mutante M1 verringerte die Dynamik der Mikrotubuli, während ungebundene M1 oder M87 Mutante des Spastins die Dynamik der Mikrotubuli erhöht. Die Änderungen in der Dynamik der Microtubuli, die durch das mutierte Spastin beobachtet wurden, sind nicht vereinbar mit der Haploinsuffizienz und lassen sich besser durch einen Gain of Function-Mechanismus erklären. Unsere Ergebnisse bestärken ein Modell, wonach die Schädlichkeit des mutierten Proteins Spastins, insbesondere die Mutante M1, zur axonalen Degeneration in den Pyramidenbahnen beiträgt. Darüber hinaus bieten unsere Ergebnisse Informationen über den Mechanismus der Schädigung, die Hinweise in Richtung effektiver Behandlungsmodelle liefern können.