Die meisten HSP-Erkrankten erinnern sich noch an den Arztbesuch, als ihnen die Diagnose HSP vermittelt wurde. Und sie erinnern sich auch daran, was der Arzt gesagt hat:
„Die HSP ist bisher nicht heilbar. Ich verordne Ihnen jetzt sehr intensive Krankengymnastik. Mit der Physiotherapie lässt sich die Entwicklungsgeschwindigkeit der HSP beeinflussen. Die verläuft dann langsamer und Ihr Leben bleibt beweglicher.“
Die Diagnose HSP, die musste erst einmal verarbeitet werden. Positiv war, dass man mit HSP leben kann. Nun also los zur Physio. Das Leben soll ja lebenswert bleiben. Und schon ging es los. Eine Praxis für Physiotherapie wurde aufgesucht. Und da klang es dann ungefähr so:
„Was haben Sie denn? Erzählen Sie bitte mal, so dass ich mir ein Bild machen kann. ….. Ach, und HSP heißt Ihre Krankheit. Davon habe habe ich noch nie gehört. Aber, ich behandele Sie jetzt ganz gezielt wegen der Spastik.“
Tja, das einzige Problem war nun, dass auch Wochen nach dem Beginn der Therapie nicht einmal vom Ansatz her eine Verbesserung spürbar war. Die HSP’ler haben dann, z.B. bei einem HSP-Info-Tag oder über das Forum „Ge(h)n mit HSP“ andere HSP’ler kennengelernt. Das Thema Physiotherapie war umgehend ein Schwerpunktthema. Und eines wurde sehr schnell erkannt. Jeder Physiotherapeut scheint bei seinem HSP’ler ein „eigenes Konzept“ zu verfolgen. Die typische HSP-Physio, die scheint es nicht zu geben. Einer schwört auf Bobath, andere sehen in PNF den einzig sinnvollen Weg, Dritte glauben, dass das Arbeiten an Geräten die Lösung sei und wieder andere schwören auf die extreme Dehnung. Was für ein Durcheinander. Und das bei ein und derselben Krankheit.
Schauen die verunsicherten HSP’ler dann ins Internet, so finden sie Vielsagendes. Zum Beispiel:
Ein Physiotherapeut schreibt in einem Physio-Forum: “ ….. ein Patient mit HSP soll jetzt bei uns 2x wöchentlich für immer Therapie bekommen. Das Problem ist, das noch nie jemand etwas von dieser Erkrankung gehört hat. Selbst dem Patienten ist es sehr bewusst, dass es für uns Neuland ist. Hat hier jemand schon einmal eine HSP behandelt? Was muss man beachten? Welche Therapie ist da am sinnvollsten? Welche Methoden kann man gut anwenden? Was sind Eure Tipps?……“
Ein anderer Therapeut: „….. HSP scheint ja ziemlich selten zu sein. Hat vielleicht noch jemand schon mal Patienten mit dieser Erkrankung behandelt? …….“
Ein Dritter schreibt: „… Ich habe auch einen HSP Patienten ……. Alle spastikreduzierenden Therapien mit Koordinationsschulung, auch Dehnungen und „durchbewegen“ werden als angenehm, weil Spastik reduzierend, empfunden…..
So oder ähnlich finden die HSP-Erkrankten sehr viele weitere Anfragen und Hinweise von Therapeuten im Internet. Natürlich kennen alle Physiotherapeuten die Spastik. Aber die Spastik durch HSP, die ist eben etwas Seltenes und Ungewöhnliches. Da wird nachgefragt, um Unklarheiten zu beseitigen.
Genauso finden sie viele Anfragen von HSP’lern, die nach Therapeuten mit HSP-Erfahrung suchen. Es werden zum Teil Therapieansätze beschrieben, die auf das Thema Spastik zielen. Unklar ist aber, welche Art der Physiotherapie für die HSP wirksam und hilfreich ist. Erkennbar wird, dass bei den Fragen und Antworten wegen eines Behandlungskonzepts auf andere Krankheitsbilder, z.B. auf die Spastische Zerebralparese (CP), die akute Querschnittslähmung, die Multiple Sklerose (MS) oder den Schlaganfall zurückgegriffen wird. Das sind Krankheitsbilder, bei denen sich auch jeweils eine Spastik als Symptom einstellen kann. Diese Krankheiten unterscheiden sich allerdings in wesentlichen Merkmalen von der HSP. Ist da der Rückgriff auf solche Krankheitsbilder, die das Symptom Spastik ebenfalls zeigen, wirklich die Lösung? Vermutlich nein, denn die spastischen Störungen haben ganz unterschiedliche Krankheiten als Ursache. Es ist schließlich immer zu bedenken, dass eine Spastik keine Krankheit, sondern immer ein Symptom einer Krankheit oder einer Schädigung des Zentralnervensystems ist.
Ein Konzept für die Behandlung der durch HSP verursachten, spastischen Symptome, das von HSP-Forschern in Zusammenarbeit mit HSP-Patienten entwickelt, getestet und überprüft wurde, das gibt es bisher nicht. Es ist zum Beispiel bisher völlig unklar, ob bei der HSP ein Krafttraining, ähnlich wie bei der CP, zu einer tatsächlichen Verbesserung der Muskelkraft und sogar zu einer Verbesserung des Gangbildes führt. Es ist nicht klar, ob die Dehnübungen wirklich die alleinigen Heilsbringer sind. Es ist genauso unklar, ob Behandlungswege der Physiotherapie aus anderen Krankheitsbildern in der HSP-Behandlung sinnvoll eingesetzt werden können, oder ob sie bei der HSP verändert oder kombiniert werden sollten. Klar ist nur, dass Spastik viele unterschiedliche Ursachen haben kann, und dass sie daher auch unterschiedlich behandelt werden sollte.
Bildlich gesprochen wird derzeit ein Fahrzeug des Herstellers Mercedes, das die Typenbezeichnung A-Klasse trägt, ganz genauso behandelt wie der Silberpfeil des gleichen Herstellers aus der Formel 1. Beide Fahrzeuge tragen den Namen Mercedes. Bei der physiotherapeutischen HSP-Behandlung wird nur der Name Mercedes durch den Namen Spastik ausgetauscht. Klar ist jedem, dass ein Mercedes Silberpfeil etwas anderes ist als eine A-Klasse und dass beide Mercedes total anders gefahren (=behandelt) werden müssen. Der Vergleich von „Mercedes Silberpfeil“ und „Mercedes A-Klasse“ mit „Spastik bei HSP“ und „Spastik bei CP“ ist natürlich nur als Bild zu sehen.
Die HSP-Patienten brauchen eine klare Richtlinie dafür, wie das Symptom Spastik bei der HSP sinnvoll und ergebniswirksam durch die Physiotherapie zu behandeln ist. Eine solche Aussage ist bisher an keiner Stelle zu finden. Es ist zu erkennen, dass die Verordnung von Physiotherapie nur dann viel Positives bringen kann, wenn die Therapeuten auch wissen, was bei HSP zu tun ist. Wenn HSP-Betroffene sagen „wir brauchen“, dann ist damit gemeint, dass ihre Physiotherapeuten „etwas brauchen“, damit sie als Patienten wirklich einen dauerhaften Vorteil aus der Physiotherapie ziehen können. Ein entsprechender Studienansatz ist beim HSP-Info-Tag in Tübingen vorgestellt worden (siehe Protokoll in der Seite 1 unten) und ist im Beitrag „Es ist geschafft“ erwähnt.
HSP-Forscher werden nun gemeinsam mit HSP-Erkrankten und mit solchen Physiotherapeuten, die über HSP-Erfahrung verfügen, Konzepte erarbeiten und ihre Wirkung auf die Spastik bei HSP bewerten und vergleichen! Sie werden gemeinsam daran arbeiten, die Frage „Welche Physiotherapie hilft bei HSP?“ zu beantworten!
Das geht nur in einer gut vorbereiteten und gezielt entwickelten, medizinischen Studie. Die Tübinger HSP-Forscher haben die Grundzüge einer solchen Studie beim HSP-Info-Tag vorgestellt. Das Konzept ist weiterentwickelt und ist hier vorgestellt worden. Die verantwortlichen HSP-Forscher haben die Vorteile aus einer solchen Studie sehr klar dargelegt. Es ist das Ziel, eine typische HSP-Therapie in der Physiotherapie zu entwickeln, die für HSP-Patienten eine wirkliche Hilfe ist. Der Förderverein für HSP-Forschung ist wegen der finanziellen Förderung dieses Projektes angefragt worden. Er hat diese Anfrage positiv beantwortet, weil in diesem Projekt große Chancen für jeden Erkrankten liegen, völlig unabhängig vom jeweiligen Genfehler, völlig unabhängig vom Alter und völlig unabhängig vom Geschlecht. Der Förderverein bittet darum und hofft es sehr, die notwendigen Spendengelder zeitnah zu erreichen. Auch hier gilt es wieder: